„Du glaubst nicht, was mir gestern passiert ist!“ – Die Kunst, gute Geschichten zu erzählen

„Du glaubst nicht, was mir gestern passiert ist!“ – Die Kunst, gute Geschichten zu erzählen

Er berichtet über Dschungelwanderungen, Nasenaffen und indigene Stämme. Sechs Freunde stehen um ihn herum; und hängen mit großen Augen an seinen Lippen, um Teil des Abenteuers zu sein, das er so eindringlich ausrollt und mit pathetischen Gesten untermalt.

Sie können hören, sehen und spüren, was in ihm vorging, während ihn Giftschlangen anzischten und das wilde Wasser unter ihm tobte. So viele kritische Momente hat er mitten im Urwald gemeistert. Sie müssen es mit einem wahren Helden zu tun haben. Oder eben: mit einem hervorragenden Geschichtenerzähler. Denn wer die Fähigkeit beherrscht, schmuckvolle Stories zu formulieren, wirkt auf andere interessant und anziehend.

Das Gute vorneweg: Niemand muss nach Borneo reisen, um Hörenswertes reportieren zu können. Wenn Sie denken, Ihr Leben sei unspektakulär, bedienen Sie sich folgender Methode: Gehen Sie am Ende der Woche gedanklich durch, welche Geschehnisse Sie in den letzten Tagen außergewöhnlich berührt, herausgefordert oder beglückt haben. Sie werden überrascht sein, welch Fülle an Begebenheiten Sie mit der Zeit sammeln werden. Notieren Sie in Stichworten, was Sie in der jeweiligen Situation gedacht, gefühlt, gehofft und gemacht haben. Stellen Sie sich innerlich vor, wie eine Person dieses Ereignis wiedergibt, es ausschmückt und Sie dabei richtig mitreißt. Diese Person können Sie sein, sie ist Ihre Blaupause. Ihr Erlebnis-Schatzkästchen füllt sich zusehends mit Stories, auf die Sie jederzeit zugreifen können.

Haben Sie keine Angst, dass die ausgewählte Geschichte Ihr Gegenüber „nerven“ könnte. Die meisten Menschen sind dankbar, einfach mal lauschen zu können; und nehmen Sie als Menschen wahr, der scheinbar ein ziemlich abwechslungsreiches Leben hat. Durch Storytelling vermittelte Botschaften werden besser verstanden als blanke Fakten, wie Anna Wiegel von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg zeigt (http://edoc.sub.uni-hamburg.de/haw/volltexte/2019/4491/pdf/Bachelorthesis_Anna_Wiegel_2180454.pdf). Sie beweist auch, dass durch die Identifikation mit dem Protagonisten die Nähe zu ihm wächst.

Sagen Sie also nicht einfach, dass Sie im vergangenen Jahr promoviert haben. Verraten Sie etwa, mit welchen Experten Sie faszinierende Interviews geführt haben, was Sie an den Antworten verblüfft hat, wie aufgeregt Sie vor Ihrer Verteidigung waren, um dann Ihre unendliche Erleichterung, das euphorische Lob des Professors und die ausschweifende Feier im Anschluss zu schildern. Ihre Qualitäten kommen so anschaulich und prägnant zum Vorschein. Erzählprofis setzen vor entscheidenden Aussagen dramaturgische Pausen („Dann habe ich meine Note erhalten“ – Pause – „summa cum laude“) und binden durch Zwischenfragen ihre Zuhörer ein („Kennst Du diese Aufregung vor mündlichen Prüfungen?“). Probieren Sie es mal aus.